Die Not Angehöriger suchterkrankter Menschen
„Ich weiß gar nicht, ob ich hier richtig bin. Ich habe das noch nie jemandem erzählt.“ So oder ähnlich beginnen viele Angehörige das Gespräch in der Suchtberatung im Beratungs- und BildungsCentrum der Diakonie Münster. Sie machen sich Sorgen, weil ihr Ehepartner, ein Elternteil, ein (erwachsenes) Kind oder Freunde Alkohol trinken, Glücksspiele spielen, einkaufen oder Medikamente nehmen und zwar in einem Maße, das zunehmend zu Problemen führt. „Viele kommen mit dem Wunsch, von einer neutralen und mit dem Thema vertrauten Person eine Einschätzung zu bekommen“, berichtet Marion Lischka aus dem Team der Suchtberatung.
In Corona-Zeiten ist dieses Beratungsangebot noch wichtiger geworden. Durch den Lockdown haben Angehörige von Suchterkrankten weniger Möglichkeiten, der schwierigen häuslichen Situation auszuweichen; und alleinlebende Menschen können sich von Ängsten um eine nahestehende Person nicht ablenken. Der innere Druck steigt. Gespräche wirken da wie ein Ventil in einer schwierigen Lebenssituation.
Reden hilft!
Für Angehörige ist es eine große Erleichterung, wenn sie – vielleicht erstmalig –über ihre Sorgen sprechen. Sie erleben, dass sie mit ihrer Problemsicht ernst genommen werden. Viele haben über einen langen Zeitraum erlebt, dass der Betroffene selbst die Probleme leugnet, bagatellisiert oder abwehrt: „Du übertreibst, mit dir stimmt etwas nicht, du siehst die Dinge völlig falsch!“
Angehörige haben meist schon viel versucht, um beim Betroffenen ein Problembewusstsein hervorzurufen und ihn oder sie vom Suchtmittel zu trennen. Die Antwort der Berater auf die Frage, wie sie dies erreichen können, ist schwer auszuhalten: „Gar nicht.“ Es gilt an dieser Erkenntnis zu arbeiten: Ich kann nichts tun, um den Betroffenen zu retten, schon gar nicht gegen seinen Willen. Ich kann also aufhören, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um dieses Ziel zu erreichen. Das mit allen Konsequenzen zu akzeptieren, ist sehr schmerzhaft. „Aufhören zu helfen ist genauso schwer wie aufhören zu saufen“, so bringt es Franz-Josef Wille aus dem Team Sucht auf den Punkt. Es bedeutet, sich den eigenen Gefühlen von Hilflosigkeit und Angst zu stellen: Muss ich mich von meinem Ehepartner trennen? Muss ich mein Kind rauswerfen oder die finanzielle Unterstützung streichen? Wie soll er/sie dann zurechtkommen? Viele sehen den Betroffenen ohne ihre Hilfe in der sprichwörtlichen Gosse.
Ändere die Sicht auf die DInge – dann kommen neue Dinge in Sicht
Die bisherigen „Hilfen“ haben allerdings oftmals der Aufrechterhaltung des Suchtverhaltens gedient. „Im Beratungsprozess werden Angehörige dabei unterstützt, bewusste Entscheidungen zu treffen, sich mit den Konsequenzen ihres Handelns zu befassen und auf eigene Bedürfnisse und Grenzen zu schauen“, so Marion Lischka. Statt Verantwortung für das Leben des Betroffenen müssen Angehörige wieder Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen. Viele Angehörige empört diese „Ungerechtigkeit“ erklärt die Suchtberaterin: „Mein Mann trinkt und jetzt soll ich mein Verhalten ändern…?!“, so beklagte sich kürzlich eine Klientin. Tatsächlich geht es um einen Wechsel der Perspektive. Und genau wie in der Arbeit mit den Suchterkrankten gilt: Es gibt nicht die Lösung. Gearbeitet wird mit jedem Menschen an seiner „Lösung“.
Das Team Sucht im Beratungs- und BildungsCentrum der Diakonie Münster ist für Suchterkrankte, -gefährdete wie auch für deren Angehörige wochentags unter 0251-490150 oder per E-Mail: BBC@diakonie-muenster.de zu erreichen. Beratungen sind nach Absprache persönlich, telefonisch oder auch als Videoberatung möglich.
Foto: Andreas Reuter / pixelio.de