Über die Berechtigung unseres körperlichen Bedürfnisses

Das Umarmen von Freunden und Familie, die jubelnde Menschenkette bei einem Sportturnier oder der Vater, der sein Kind an der Hand hält. Körperkontakte und Berührungen sind ein menschliches Grundbedürfnis. Uns allen – jung wie alt – tut es gut mit anderen in Körper-Kontakt zu sein. Dabei kann es sich auch um kleine Berührungsmomente handeln, wie ein kurzes Schulterklopfen oder Streicheln über den Kopf. Die meisten Menschen verbinden mit Körperkontakt ein Gefühl von Wärme und Nähe, Schutz und Trost sowie Verbundenheit und Intimität.

„All diese kleinen und großen Berührungen sind im Alltag der Pandemie auf ein Minimum reduziert.“ beschreibt Lisa Bokeloh, Psychologin  aus dem Team Psychologische Beratung  des Beratungs-und BildungsCentrums der Diakonie Münster die derzeitige Situation. Eine junge Frau berichtet im Gespräch von ihrer Sehnsucht nach Körperkontakt: „Gestern Abend hatte ich wieder dieses starke Gefühl ganz dringend eine Umarmung zu brauchen.“. Ähnlich geht es einer anderen Alleinstehenden: „Vorher war ich traurig, keinen Partner zum Kuscheln zu haben.“, berichtet sie, „Jetzt merke ich, wie viel Nähe ich vorher durch Freundschaften und Familie hatte, die mir jetzt fehlen.“ Die soziale Isolation macht den Menschen zunehmend zu schaffen. „Vor allem die alleine lebenden Singles betrifft diese Ausnahmesituation.“, berichtet Bokeloh. Mit knapp über 50 % an 1-Personen-Haushalten liegt Münster dabei über dem Bundesdurchschnitt.

Wohlfühlhormon löst Stress

Wie wohltuend eine Umarmung ist, lässt sich auch biologisch nachweisen. „Durch angenehme Berührungen erfolgt in unserem Gehirn die Ausschüttung von Oxytocin. Oxytocin ist ein Bindungshormon, welches umgangssprachlich manchmal auch als „Kuschel-Hormon“ bezeichnet wird.“, zitiert Bokeloh die Forschung zu dem wichtigen Thema. „Dieses Hormon ist wie ein Wundermittelchen, welches Stresshormone abbaut und in uns ein Entspannungs- und Wohlgefühl auslöst.“, ergänzt die Psychologin. Gerade in der aktuellen Zeit, die für viele mit Unsicherheiten und Stress verbunden ist, sei dieses Hormon für uns daher wichtig. Bei vielen Menschen besteht zurzeit jedoch eine Ambivalenz in Bezug auf zwischenmenschlichen Körperkontakt: Einerseits gibt es eine Sehnsucht nach Berührungen und Nähe und auf der anderen Seite eine Angst vor den Folgen. „Heute auf der Arbeit hat eine Kollegin mich einfach tröstend in den Arm genommen. Das tat so gut! Aber jetzt mache ich mir Sorgen, weil Umarmungen wegen Corona ja nicht erlaubt sind.“, schildert eine junge, alleinlebende Frau.

Auf den ersten Blick erscheint die Situation als ein unlösbares Dilemma. Wie sollen wir körperliche Nähe erfahren und gleichzeitig  soziale Distanz wahren? Ein Blick in die neuropsychologische Forschung kann uns hier ein paar tröstende Ideen und Impulse geben.

„Mit meinen Freundinnen suchen wir nun neue Formen uns zu “umarmen“, z.B. mit einem tiefen Blick zur Begrüßung.“, berichtet eine 40-jährige Klientin. Dabei ist sie mit ihren Freundinnen auf etwas Zentrales gestoßen, denn wenn wir einem geliebten Menschen länger (ca. 20-30 Sekunden) in die Augen schauen, führt dies ebenfalls zu einem Gefühl von Verbundenheit und Intimität.

Auch Vierbeiner können uns zu diesem Verbundenheitsgefühl verhelfen: „Studien belegen, dass auch das längere Halten des Blickkontaktes sowie das Streicheln eines Hundes zur Ausschüttung des Bindungshormones führen.“, erklärt Bokeloh. Diese Erfahrung machte auch ein alleine lebender Mann Mitte fünfzig: „Manchmal schaut mich mein Hund an und ich habe das Gefühl, dass er genau weiß wie es mir geht. Das tröstet mich.“

Nähe durch Glauben

Sofern man gläubig ist, wird das Hormon zudem beim Beten freigesetzt. Denn durch das Gebet entstehen eine Verbindung zu Gott und eine Verbundenheit mit Anderen durch den Glauben. Auch auf diese Weise wird also Nähe und Miteinander spürbar.

Von Bedeutung ist letztlich auch der Kontakt zu uns selbst: Wenn wir empathisch und fürsorglich mit uns selbst umgehen, dann wird das Bindungshormon ebenfalls freigesetzt. Dies ist jedoch für viele Menschen leichter gesagt als getan. Die folgenden Fragen können hierbei eine erste Reflexionshilfe sein: „Was würden Sie einem geliebten Menschen in Ihrer Situation sagen? Was würden Sie für diesen geliebten Menschen tun?“. Die Antworten können uns eine Orientierung geben, wie wir auch mit uns selbst umgehen sollten.

Wenn Sie sich fragen, wie Sie Ihr Grundbedürfnis nach Nähe versorgen können, stehen wir Ihnen gerne beratend zur Seite:

Beratungs-und Bildungs-Centrum der Diakonie, Team Psychologische Beratung

Tel: 0251/490150 (Mo-Mi 9.00-16.30 Uhr, Do 9.00-18.00 Uhr, Fr 9.00-13.00 Uhr)

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